Sicherheitstechnik

Neue US-Crashvorschriften

Seit Mitte Mai gilt für Fahrzeuge, die ab September 2003 in den USA verkauft werden, eine neue Vorschrift. So sollen Automobilhersteller und Zulieferer den Insassenschutz weiter optimieren und die Risiken für die Insassen minimieren. Diesen Forderungen zwingen vor allem Zulieferer zum Handeln, denn sie werden immer mehr in die direkte Entwicklung einbezogen. Gefragt sind von ihnen neue Wege in der Systementwicklung. Wer Systeme aus einer Hand liefern kann, hat zusätzliche Vorteile. So sieht man bei Autoliv - Marktführer im Bereich Insassenschutzsysteme - die neuen Vorschriften als sehr weitreichende Forderungen, hat aber die erforderlichen Komponenten schon entwickelt und ist derzeit im Stadium der Applikation für Fahrzeuge.
Das National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) legte als Resultat langjähriger Beratungen dem Gesetzgeber die NPRM (Notice for Proposed  Rule Making) vor und Ende letzten Jahres das Supplement (SNPRM); seit Mitte Mai sind diese Vorschriften als New “FMVSS 208” in Kraft.
Erstmals spezielle Testverfahren
Mit der "Final-Rule" schreibt der Gesetzgeber erstmals eine Serie von Testverfahren vor, die das Gefährdungspotential für vorgegebene Szenarien begrenzen sollen. Zusätzlich fordert er den Nachweis eines optimierten Insassenschutzes bei verschiedenen Crashtests mit unterschiedlichen Insassentypen.
Schon seit langem gilt die amerikanische FMVSS 208: Die Vorschrift, die die Sicherheit von Fahrer und Beifahrer  - angegurtet oder nicht - bei einem Wandaufprall mit 48 km/h testet. Die New FMVSS 208 optimiert künftig den Insassenschutz für den 50%-Dummy-Mann und schreibt weitere Tests für die 5%-Dummy-Frau vor. Zu den Auswirkungen bei  einem Zulieferer erklärt Jörg Szilagyi, Leiter “Systementwicklung” bei Autoliv in Dachau: “Die neue Gesetzeslandschaft überrascht uns nicht, denn sie unterstreicht eigentlich nur unsere Entwicklung und schreibt teilweise die Auslegungspunkte der Systeme fest”.
Neue Tests werden gefordert
So sind künftig Tests für verschiedene Dummy-Typen neu definiert: für den 50%-Dummy-Mann gegen die starre Barriere, der ungegurtet mit 32-40 km/h senkrecht (bis maximal 30° ) gefahren wird oder angegurtet mit bis zu 48 km/h (später bis 56 km/h) senkrecht. Die 5%-Dummy-Frau muss künftig den Wandaufpralltest gegen die starre Barriere und den 40%-Offset-Aufprall gegen die deformierbare Barriere bestehen. Dabei gelten auch wieder Szenarien für gegurtete und ungegurtete Insassen jeweils bei verschiedenen Geschwindigkeiten. Während der Enwurf der Vorschrift noch 14 Fahrzeugversuche umfasste, reduzierte das Supplement auf  9, letztlich blieben noch  7 Crashtest-Szenarien übrig.
Neben den zusätzlichen Dummy-Crashtests fordert der amerikanische Gesetzgeber auch die Risikobegrenzung für den Fall einer Airbagzündung. Der Gesetzgeber unterscheidet dabei “kleine Personen”: das 1-jährige Kind im rückwärts gerichteten Kindersitz, das 3- und 6-jährige Kind mit und ohne Kindersitz und die 5%-Frau auf dem Fahrersitz. Ist in den genau definierten Versuchen die Situation für diese Gruppe kritisch bleibt der Airbag entweder im Gehäuse oder er entfaltet sich "sanft" - mit einem geringeren Verletzungsrisiko.
Umfangreiche Sensorik nötig
Während sich die Autoindustrie noch mit Statements zurück hält, bestätigt man bei Autoliv, dass man die einzelnen Module liefern kann und sogar schon die Gesamtsysteme abstimmt. Grundlage der Insassensicherheit sind “Smart Restraints”, bei denen Sensorsignale je nach “Lastfall” die entsprechende Aktuatorik steuern. Das Sensorsystem erkennt die Unfallschwere und klassifiziert die Insassen (OCS, Occupant characterization system). Es umfasst einem OSS-Ultraschallsensor (Occupant spatial  sensor), einen OWS-Sensor (Occupant weight sensor) sowie die Sensorik zur Erkennung des Gurtanlegestatus. Jörg Szilagyi beschreibt die Wirkungsweise: “Sensoren messen die Unfallschwere, erfassen dazu die Charakteristika der Insassen nach Gewicht, Position und Gurtzustand. Diese Signale werden in fortschrittlichen Algorithmen ausgewertet, um dann die entsprechenden Aktuatoren aktivieren zu können”. Für jede Situation steht somit der bestmögliche Schutz zur Verfügung. Doch welche Sensorik ist die Beste: Infrarot, Radar oder Bilderkennung? Szilagyi: “Wir favorisieren Ultraschallsensoren, die wir für genauso geeignet halten wie Sensoren zur Bildverarbeitung”.
Nackenverletzungen sollen vermieden werden
Auch wenn die Prüfung im Bereich “Verletzungskriterien” weitgehend der alten 208er-Vorschrift entspricht, definiert der Gesetzgeber Grenzwerte und Kriterien bei Verletzungen im Nackenbereich neu, indem er vier kombinierte Nackengrenzwerte festlegte. Systementwickler Jörg Szilagyi: “In der neuen Vorschrift wurde das erste Mal aus einer Kraft und einem Moment ein Grenzwert für Nackenverletzungen geschaffen”. Dies ist wichtig bei der Prüfung mit der 5%-Dummy-Frau: Während der Autofahrt sitzen vor allem kleinere Frauen mit angewinkelten Armen zu nah vor Lenkrad und Airbagmodul. Bei einem Unfall müssen die Systeme auch diese Frauen schützen und gleichzeitig die Risiken der Airbagentfaltung gering halten.
Auch kleine Insassen und Kinder berücksichtigt
Großen Wert legte der Gesetzgeber auf die Position der kleinsten Insassen. Zur Erfüllung der neuen Vorschrift muss die Sensorik das Kind als “gefährdeten” Insassen erkennen. Bei Autoliv funktioniert dies über das Gewicht des Insassen. Ein Sensor ermittelt diese Größe und unterhalb einer definierten Schwelle wird der Airbag deaktiviert. Oder der Airbag zündet in kritischen Positionen ”sanft” - mit möglichst geringem Risiko.
Insgesamt stellt das Gesetz sehr hohe Anforderungen an Automobilhersteller und Zulieferer. So sieht man auch bei DaimlerChrysler, dass der enorme Mehraufwand bei der Entwicklung nur gemeinsam mit den Zulieferern umsetzbar ist. Airbagexperte Jörg Szilagyi: “Wir als Zulieferer stehen mit den Komponenten bereit. Um aber die Systeme ins Auto zu bringen, herrscht überall Zeitdruck, denn die Komponente allein macht es nicht, es kommt besonders auf die Systemabstimmung im Fahrzeug an.”
Einführung in Zeitschritten
Die erste Phase zur Umsetzung tritt schon am 1. 9. 2003 in Kraft, wenn neue Testbedingungen für dynamische und statische Tests vorgeschrieben sind, darunter besonders der Wandaufpralltest mit dem angeschnallten 50%-Dummy bei 48 km/h. Ein Stufenplan sieht jeweils zum September des entsprechenden Jahres weiter vor: bis 2004 müssen 35 % der neu hergestellten Fahrzeuge diesen  Vorschriften entsprechen, bis 2005 65 % aller Neufahrzeuge und ab 2005  alle neu hergestellten Fahrzeuge. Ab 2006 müssen 100 % aller verkauften Autos diese Norm erfüllen. Die nächste bedeutende Stufe beginnt am 1.9. 2007, wenn der Wandaufpralltest für angeschnallte 50%-Dummies von 48 auf 56 km/h (wie US-NCAP) angehoben wird, mit den gleichen Stufenszenarien.
Vorschriften in Sicht: Beifahrer-Airbag-Abschaltung
Für die “ferne” Zukunft gelten schon weitere Forderungen der US-Sicherheitsbehörde: 2012 läuft die Option der manuellen Beifahrerairbag-Abschaltung aus, die bis dahin als Alternative erlaubt ist für 2-Sitzer und Fahrzeuge, die keine Möglichkeiten für Rückhalteeinrichtungen auf den Rücksitzen haben. Dann müssen die Hersteller eine automatische Erkennung zum Abschalten anbieten. Und auch die Ankündigung, den großen und schweren 95%-Mann als Dummy in der Systemauslegung zu berücksichtigen, könnte bis dahin Gesetz sein.

 

Kunststoffscheiben? Glasklar?
 

Explodierende Kraftstoffpreise bringen die Entwicklungsingenieure zum Schwitzen: Das Auto muss leichter werden, denn weniger Gewicht bedeutet auch weniger Kraftstoffverbrauch. Auf der Suche nach Einsatzgebieten für neue und meist leichtere Werkstoffe sind auch Autoscheiben im Blickfeld. Experimentiert wird dabei mit Kunststoff. Denn eine fünf Millimeter dicke Kunststoffscheibe wiegt je Quadratmeter nur etwa sechs Kilogramm – vergleichbares Verbundsicherheitsglas (VSG) dagegen das Doppelte. Bei einem Mittelklasse-Kombi liegt somit die entsprechende Gewichtsersparnis bei etwa 20 Kilogramm, was letztlich etwa 80 Liter Kraftstoffersparnis je 100.000 gefahrene Kilometer bedeutet.
Sonnenspektrum soll gefiltert werden
Große Glasflächen vermitteln im Auto eine helle, offene und großzügige Atmosphäre. Allerdings sind die optischen und akustischen Anforderungen an die Windschutzscheibe und die Seitenscheiben sehr hoch, wenn es um Komfort und Sicherheit geht. Weiterhin beeinflussen die Vorgaben des Gesetzgebers das Design und die Materialzusammensetzung der Scheiben. Auf der VDI-Tagung “Kunststoffe im Automobilbau” in Mannheim präsentierte der Werkstoffexperte Stefan Uhl von DaimlerChrysler Entwicklungen und Ausblicke zur  Autoscheibe.
Geht es um die Fahrzeugscheiben, so sind die Ingenieure im Zwiespalt, denn beispielsweise reduziert dünnes Glas das Gewicht, andererseits überträgt es verstärkt Wind- und Reifengeräusche in den Innenraum. Je nach Klimabedingungen heizt ein Auto bis zu 90 Grad Celsius auf oder kühlt bis –40 Grad ab. Eingefärbtes und wärmedämmendes Grün- oder Blauglas gehört deshalb mittlerweile schon zum Standard. Für die Zukunft setzen die Experten aber auf ein Glas, das den Anteil im nahen Infrarotbereich (NIR) des Sonnenspektrums reflektiert. Stefan Uhl, Experte für Klimakomfort: “Neuentwickelte Dünnschichtsysteme reflektieren den NIR-Anteil des Sonnespektrums deutlich und tragen so zu einer verminderten Aufheizung des Innenraumes bei”. Derzeit sind sie aber noch den Oberklassefahrzeugen vorbehalten.
Crashtests für Autoscheiben
exatec-Crashversuch
Sehr wichtig ist eine steife Windschutzscheibe. Nicht nur die hohe Belastung bei schneller Fahrt, sondern auch die Verletzungsgefahr im Crashfall hängen von den Materialeigenschaften der Front- und Seitenscheiben ab. Aus den USA kommt hierzu ein Entwurf des NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration), der festere Scheiben fordert. So sollen künftig bei einem Crash die Insassen vor dem Herausschleudern geschützt werden. Stefan Uhl: “Diese Forderungen können sehr weitreichend sein und erhebliche Konsequenzen für die Entwicklung  von künftigen Verglasungen und Türkonzepten haben.”
Sensoren in der Windschutzscheibe
Im Zeitalter von Multimedia fordern Autofahrer immer mehr Frequenzbänder. “Es sind Lösungen gefragt, bei denen Antennenstrukturen und metallische Beschichtungen zum Sonnenschutz gleichzeitig realisiert werden müssen”, kommentiert Uhl. Dazu kommen auch vermehrt Sensoren im Scheibenbereich, die die Temperatur regeln, den Beschlag erkennen oder bei Regen die Wischer einschalten.
Heckscheibenheizung bereitet Probleme
Vereinzelt findet man schon – beispielsweise die Dreiecksscheibe im Smart – die “reine” Kunststoffscheibe aus Polycarbonat. Solche Scheiben bieten einen hohen Widerstand gegen Einbruch, nachteilig ist ihre geringe Kratzfestigkeit. Doch die Entwicklungsingenieure planen schon mittelfristig Spritzguss-Vollkunststoffscheiben aus Polycarbonat für das Heck. Einziges Problem derzeit: eine Heckscheibenheizung mit leitfähigen Schichten muss noch integriert werden. Dann steht dem Einsatz nichts mehr im Wege.

 

Geschichte des Sicherheitsglases

Ein kleiner Laborunfall gab im Jahre 1910 den Anstoß für die Erfindung der Sicherheitsscheibe. Im Labor des französischen Chemikers Edouard Benedictus fiel ein Glaskolben zu Boden, der überraschenderweise nicht splitterte. Benedictus ahnte, dass der klebrige Film der eingetrockneten Nitrozellulose-Lösung schuld sein könnte. Er klebte solch eine Lage Nitrocellulose, auch "Zelluloid" genannt, zwischen zwei Glasscheiben. Diese sollte im Falle eines Autounfalls die tödlichen Scherben festhalten. Bevor die dreilagige Scheibe 16 Jahre später erstmals im Auto eingesetzt wurde, setzte man sie während des ersten Weltkrieges zunächst in Gasmasken ein.