EURO-NCAP

Crashtests: vom EURO-NCAP  zum World-NCAP

 

Wo sitzt man im Crashfall sicherer: In einem Kleinwagen oder in einem größeren Autos, wie Pickup, Van oder Jeep? Glaubt man dem amerikanischen Boulevardblatt USA-Today, so retten etwa 50 Kilogramm mehr Fahrzeugmasse – und damit meist auch eine höhere Steifigkeit - jährlich 200 Insassen das Leben.
“Selbstschutz” lautet die Devise – sitzt man im schwereren Auto. Aus der Sicht dieser Autobesitzer kann die Front gar nicht steif genug sein, um im Crashfall möglichst viel Aufprallenergie zu absorbieren. Für Insassen von Kleinwagen kann dies allerdings tödlich sein. “Partnerschutz” wünschen sie sich deshalb. Optimal wäre im Crashfall eine Verteilung der Aufprallenergie entsprechend Masse, Steifigkeit und Design der Fahrzeuge. Selbstschutz hin, Partnerschutz her? Nach Ansicht von Experten des Instituts für Fahrzeugtechnik an der TU Berlin würden in Europa jedes Jahr etwa 675 Menschen ihre Unfälle überleben, wenn die Beziehungen der Wagenklassen optimal wäre.
Weltweit unterschiedliche Vorschriften
Doch welche verstärkten Ecken, Kanten oder Rundungen sollte (muss) das optimale Fahrzeug haben, welche Testkriterien machen sie vergleichbar und wonach sollen sie letztlich bewertet werden? Es ist kaum vorstellbar, aber Realität: Auf den vier großen Auto-Weltmärkten Australien, Europa, Japan und den USA geben weder Hersteller, Gesetzgeber, Prüfinstitute oder Verbraucherverbände dem Autofahrer eine verbindliche Antwort. Jeder dieser Märkte hat eigene Modi für Crashtests und bewertet diese dann auch noch unterschiedlich mit Sternchen, Männchen, Zahlen oder Buchstaben. 
Experten suchen gemeinsame Norm
“Seit 20 Jahren sind wir frustriert, weil wir die Crash-Vorschriften nicht harmonisiert bekommen, ich fürchte es wird noch weitere 10 Jahre dauern”, so umschreibt Bernd Friedel, Abteilungsleiter “Passive Sicherheit” in der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), die Situation. Und auch die Automobilhersteller klagen. “Die Erfüllung der jeweils landesüblichen Crashtests ist eine Vergeudung von Vermögen”, erklärt Robert Zobel, Leiter Analyse Fahrzeugsysteme Unfallforschung bei VW. Denn in der Realität passieren überall auf der Welt Unfälle nach gleichen Mustern. Damit sind nach Zobels Meinung weltweit tätige Automobilhersteller benachteiligt, die die jeweils landesüblichen Crashtests erfüllen müssen. Doch die Sterne stehen nicht schlecht: Kürzlich trafen sich zweihundert Experten aus aller Welt beim TÜV Rheinland/Brandenburg in Köln, eine Teilharmonisierung scheint jetzt möglich.
Vor 1998 prüfte man Fahrzeuge meist, in dem man mit voller Überdeckung bei 50 km/h gegen eine starre Barriere crashte. Mess- und Bewertungskriterium war lediglich das Eindringen der Lenkung ins Fahrzeuginnere und die direkte Belastung der Insassen. Seit aber selbst Kleinwagen mit Fahrer- und Beifahrerairbag ausgerüstet sind, ist dieses Verfahren überholt.
Grundlage des NCAP
Ein neues Prüfverfahren musste her. Die Idee zu einem EURO-NCAP (New Car Assessment Programme) kommt aus Großbritannien. Dort erteilte das Verkehrsministerium dem Forschungsinstitut TRL (Transport Research Laboratory) und dem Ingenieurbüro VSC (Vehicle Safety Consult) einen Entwicklungsauftrag für ein neues Crashverfahren. Die geniale Idee eines europäischen Prüfinstitutes (ebenfalls EURO-NCAP), das Crashtests im Auftrag von Automobilclubs oder Verbraucherverbänden - für viel Geld – durchführt, war geboren. Ein schnell gestricktes Prüfverfahren fand auch in Brüssel bei der Europäischen Kommission Zuspruch und wurde sogar noch gesponsert.
Ursprünglich gehörten zu “EURO” nur England und Schweden, mittlerweile sind auch Deutschland, die Niederlande und Frankreich Mitglieder, genauso wie der Dachverband der Automobilhersteller (FIA), Automobilclubs wie der ADAC und Verbraucherverbände wie die Stiftung Warentest. Die politische Lobby in Brüssel machte das EURO-NCAP innerhalb von zwei Jahren zum Crash-Standard in Europa. Jedes Mitglied zahlt jährlich etwa 25.000 Euro für Verwaltungsaufgaben an die Organisation; wer ein Automodell für einen Crashtest sponsert, muss nochmals etwa 7.000 Euro hinblättern. Weshalb also einheitliche Crashtests aufstellen, die auch andere Prüforganisationen durchführen können und die für jedermann nachvollziehbar sind?
Testergebnisse des NCAP nicht überprüfbar
De facto verteidigen zwei Ingenieure des VSC ihre Marktführerschaft bis heute: Sie beurteilen die Renault Laguna: erstes Auto erreicht 5 SterneCrashtests und vergeben bis zu vier Sterne für ein sicheres Auto. Neben einigen festgelegten Kriterien und  Grenzwerten spielt der subjektive Eindruck der Prüfer bei der Bewertung (modifier) eine große Rolle. Andre Seeck, Crashtestexperte bei der BASt: “Die Auswertungen sind nicht objektiv nachvollziehbar, die Modifier-Praxis entbehrt jeglicher Grundlage”.
Die Prüfprozedur des EURO-NCAP ist sehr umstritten. Das Testprogramm umfasst einen Frontalaufprall mit 64 km/h gegen eine deformierbare Barriere mit 40 % Überdeckung, den rechtwinklige Seitenaufprall mit 50 km/h und einen Fußgängeraufpralltest mit 40 km/h. Beispielsweise kritisieren Experten den Fußgängerschutz. Robert Zobel: “Im Prinzip werden die Kinder zu Gunsten der Erwachsenen benachteiligt, das halten wir für inakzeptabel”. Denn die Automobilhersteller wurden mit einer “fußgängerfreundlichen” Gesetzgebung konfrontiert, die den Zielkonflikt Kinder/Erwachsene überhaupt nicht berücksichtigt. Die Ergebnisse aus den drei Tests sind nicht transparent und das Verfahren ist auch nicht am Unfallgeschehen validiert”, kritisiert auch Jürgen Huber, Abteilungsleiter Straßenverkehr im Bundesverkehrsministerium die EURO-NCAP Prüfprozedur.
Technische Universität Berlin entwickelt neue Tests
Der BASt erteilte deshalb sein Ministerium den Auftrag, ein neues Crashtestverfahren zu entwickeln. An der Technischen Universität Berlin (TUB) entstand das TUB-NCAP auf Basis der Unfallanalyse, der statistischen Unfallverletzungen und unter Zuhilfenahme von Crashtests. Dabei werden die Einzelergebnisse aus verschiedenen Crashtests entsprechend ihrer Bedeutung im realen Unfallgeschehen gewichtet. Unfallforscher Andre Seeck: “Eine erste Präsentation des TUB-NCAP vor internationalen Fachleuten ergab beispielsweise, dass Japan das Bewertungsverfahren entweder komplett oder zumindest die Grundprinzipien übernehmen will.”
Zobel“Kompatibilität” ist gefragt
Das besondere Crashproblem heißt “Kompatibilität”. Reden Wissenschaftler von Kompatibilität meinen sie damit die Massen-, Design- und Steifigkeitsunterschiede der Unfallfahrzeuge. Allgemein handelt es sich um die Aggressivität des größeren Fahrzeugs: danach müßte die optimale Front eines kleinen und leichten Fahrzeugs eine gleich hohe oder gar größere Front- und Zellensteifigkeit haben, damit das schwere Fahrzeug in die Deformation mehr einbezogen wird. Die EURO-NCAP Crashgeschwindigkeit von 64 km/h ist demnach kritisch für große Autos, denn sie müssen schwer und steif sein, um die Testanforderungen zu bestehen. Treffen sie dann allerdings im realen Unfallgeschehen auf einen Kleinwagen - machen sie ihn platt. Sicherheitsexperte Andre Seeck: “Besser wäre ein leichtes Fahrzeug, das eine harte Front hat, und ein großes, das weicher ist”. Doch das Prinzip der verteilten Energieaufnahme lässt sich im Prüfverfahren nicht einfach feststellen, da die wissenschaftlichen Grundlagen noch fehlen. Derzeit fördert die Europäische Kommission dazu mehrere Forschungsprojekte.
Reflektieren Crashtests tatsächlich das Unfallgeschehen?
Auch darin sind sich die Experten  uneinig. Der “Alleinunfall” (1 Fz) mit seinen Eigenheiten müsste stärker berücksichtigt werden, fordert Unfall-Professor Klaus Langwieder vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Seiner Ansicht nach simulieren die Frontal- und Seitenaufpralltests nach EURO-NCAP nur etwa 25 Prozent der Unfälle, bei denen in Deutschland Pkw-lnsassen getötet werden. Nimmt man die Aussagekraft des US-Frontalaufpralls mit voller Überdeckung dazu, sind es 47 Prozent und ersetzt man den bisherigen Seitenaufprall durch einen Pfahlaufprall im Bereich der vorderen linken Tür, könnten sogar bis zu 67 Prozent der Unfallsituationen abgedeckt werden. Angesichts dieser eindeutigen Zahlen ist es sinnvoll, daß EURO-NCAP den Herstellern künftig die Möglichkeit für einen Pfahlaufprall gegen die Seite eröffnen will.
Autoindustrie will Anerkennung anderer Sicherheitsfeatures
Langwieder
Mit diesem Pfahlaufprall soll EURO-NCAP zum US-NCAP aufschließen: Fahrzeuge, die diesen Masttest bestehen, erhalten dann einen fünften Stern. Dies begrüßen auch Autohersteller wie VW oder DaimlerChrysler. Karl-Heinz Baumann, Entwicklungsleiter bei DaimlerChrysler, fordert sogar noch mehr: “Sicherheitsinnovationen sollten in den Crashtest-Programmen belohnt und damit gefördert werden”. Soll heißen, dass beispielsweise Mercedes-Fahrzeuge mit Systemen der aktiven Sicherheit wie dem Bremsassistent (BAS) oder Teleaid (schnelle Aktivierung der Rettungskette) bei einem optimalen Testprogramm einen Bonus erhielten. “Die gesamte Autoindustrie wünscht sich die Anerkennung solcher Sicherheitfeatures”, so Baumann. Dann droht allerdings die “Verwässerung des EURO-NCAP”, so dass auch Stabilitätsprogramme wie ESP oder ein vorhandener Kopfairbag zusätzliche Sterne ergattern können – oder andererseits abgezogen bekommen.
World-NCAP geplant
Dies machen die VSC-Prüfingenieure in Brüssel derzeit schon nach eigener Willkür: Sind sie sich einig, können sie bis zu einem Viertel der maximalen Punktzahl abziehen, wenn beispielsweise das Verletzungsrisiko beim Crash “nach subjektiver Bewertung” für Kopf oder Brust zu hoch ist. Wohlgemerkt: nur zwei Ingenieure sind in der Lage, diese Beurteilung vorzunehmen. Drei weitere Experten belegen derzeit einen dreitägigen “Crash”-Kurs beim Ingenieurbüro VSC – bezahlt von der Europäischen Kommission. Kosten je Teilnehmer etwa 100.000 DM! Das Monopol steht. Andre Seeck: “Die Europäische Kommission wird allerdings mittlerweile von allen Seiten bedrängt, so dass sich wohl bald etwas ändern wird.” Da die Japaner teils den EURO-NCAP anwenden und sich ebenfalls für den TUB-NCAP interessieren, die Australier gerade einmal angefangen haben, nach dem EURO-NCAP Frontal- und Seitenaufprall zu testen und der amerikanische Congress sogar eine Harmonisierung des US-NCAP mit den europäischen Vorschriften empfiehlt, scheint der Grundstein für einen “World-NCAP” gelegt zu sein.

     

Unterschiedliche Crashbewertung
Neben verwirrenden Schaubildern, die über Punkte, Sterne, bunten Männchen oder Zahlen/Buchstaben-Kombinationen die Crash-Ergebnisse darstellen, erreichen Fahrzeuge je nach Land auch noch unterschiedliche Bewertungsergebnisse. Da erhält beispielsweise ein Mercedes der C-Klasse Baujahr 1997 nach dem US-NCAP beim Frontalaufprall vier von fünf möglichen Sternen, beim EURO-NCAP in der Gesamtnote nur zwei von vier Sternen, die japanische Automobil-Sicherheitsbehörde OSA bewertete ihn in einer sechsstufigen Skala mit der dritten Stufe und das amerikanische HLDI (Highway Loss Data Institute) erteilte im Bezug auf Kollisionskosten die Note “Durchschnittlich” und bei den Verletzungskosten “deutlich schlechter als der Durchschnitt”. Wer soll da noch durchblicken?

Geschichte des NCAP
Seit Beginn der Mobilität war es ein Bestreben, die Unfallzahlen gering zu halten. Im Mittelpunkt stand die unfallfolgenmildernde Fahrzeugsicherheit (passive Fahrzeugsicherheit). Schon 1832 wurden in England die ersten Crashanforderungen für einen dampfbetriebenen Omnibus festgelegt. Seitdem definiert der Gesetzgeber über die Typenzulassung die Anforderungen an ein Fahrzeug. Die jüngste Sicherheitsoffensive begann in Europa nachdem der brasilianische Formel-1-Pilot Ayrton Senna und der Österreicher Roland Ratzenberger 1994 in Imola tödlich verunglückten. Seitdem forderte der Dachverband der Automobilclubs (FIA) neue Konstruktionsrichtlinien für Rennfahrzeuge, die auch auf Serienfahrzeuge angewendet wurden. Daraus resultieren auch die Initiativen zu NCAP.

Wollen Autofahrer Sicherheit?
Vom Grundgedanken, den Wettbewerb auf dem Gebiet der passiven Sicherheit anzukurbeln, in dem verbraucherfreundliche und transparente Daten veröffentlicht werden, ist man weit entfernt – auch wenn die Autoindustrie dies gerne als Werbebotschaft nutzt. Viele Autofahrer resignieren vor den unüberschaubaren Resultaten. Dies hat der TÜV Rheinland/Brandenburg in einer Studie festgestellt. Die Experten bescheinigen deutschen Autofahrern ein geringes Sicherheitsempfinden: nur jedes fünfte Auto wird unter dem Aspekt Sicherheit gekauft. TÜV-Psychologe Stefan Becker weiß warum: “Der Mensch verdrängt den Tod und denkt: mich trifft es sowieso nicht.” Trotzdem meckert etwa die Hälfte der befragten Autofahrer über die Präsentation der Crashtest-Ergebnissen und fordert eine bessere Vergleichbarkeit.

 

Übersicht Crash-Tests: Weltweit

 

1. National Highway Safety Administration (USA)

Internet: http://www.nhtsa.dot.gov/ncap

seit 1979  Frontalaufprall gegen starre Barriere mit 56 km/h; seit 1997 Seitenaufprall 30 Grad schräg  mit 62 km/h

Messwerte bei 4 Dummies, 5 Sterne-Bewertung

2.   NRMA (Australien)

Internet: http ;//www.nrma.com.au/crashtests

seit 1996    Frontalaufprall gegen starre Barriere mit 56 km/h und Frontalaufprall gegen deformierbare Barriere (40 %)  mit 64 km/h; seit 1999  Seitenaufprall, rechtwinklig  mit 50 km/h

Messwerte bei 3 Dummies, 4 Sterne-Bewertung

3. OSA, National Organisation for Automotive Safety & Victims Aid (Japan)

Internet: http://www.osa.go.jp

seit 1995 Frontalaufprall gegen starre Barriere mit 56 km/h; seit 1999   Seitenaufprall, rechtwinklig mit 55 km/h

Messwerte bei 2 Dummies, 6 Stufen-Bewertung

4.   EuroNCAP (Europa)

Internet: http ://www.whatcar.co.uk und http://www.fla.com

seit 1997    Frontalaufprall gegen deformierbare Barriere (40 %)                    mit 64 km/h Seitenaufprall, rechtwinklig mit 50 km/h

Messwerte bei 3 Dummies, 4 Sterne-Bewertung

Zusätzlich Fußgängeraufpralltest mit 40 km/h

5. Insurance Institute for Highway Safety (USA)

Internet: http://www.hwvsafety.org.

Frontalaufprall gegen deformierbare Barriere (40 %)                  mit 64 km/h Bumpertest  mit 8 km/h

Messwerte bei 1 Dummy, 4 Stufen-Bewertung

6.   ADAC (Deutschland)

Internet: http://www.adac.de

Vergleichbar mit EuroNCAP

7.   AutoBild (Deutschland)

Internet: http://www.autobild.de

Frontalaufprall ähnlich EuroNCAP

8.   Auto Motor und Sport (Deutschland)

Internet: http://www.motorpresse-online/Zeitschriften/ams

Frontalaufprali vergleichbar mit EuroNCAP Fahrzeug/Fahrzeug-Crash (50 %)   mit 50 km/h