Interieur: Holz, Leder, Carbon

Emotionen wecken durch edle Oberflächen

 

Wer sich ein neues Auto kauft überlegt – mehr denn je. Die Zeiten, in denen Ford mit seinem Modell T eine konsequente Ein-Produkt-Strategie fuhr – und sogar zwölf Jahren lang nur eine  “Tin Lizzie” in Schwarz lieferte -, führten heutzutage einen Automobilhersteller in den Ruin. Auch Deutschlands Straßenbild prägte bis in die 70er Jahre der einzigartige VW Käfer. Doch schon in den 80ern dominierte bei den Autokäufern der Blick auf ihren gesellschaftlichen Status; in den 90ern gewinnt das Marken-Image an Bedeutung.
Produkt-Image gefragt
Und heute? “Irrationale Motivationen lösen die einst rationale Sichtweise bei der Kaufentscheidung ab”, erklärt Thomas Lampe, Interieur-Experte bei VW auf der Tagung “Kunststoffe im Automobil”. Und neue Produkt-Imagefaktoren zielten auf die kulturelle Akzeptanz und die ästhetische Wirkung. Beispiele für emotionale Autos sind New Beetle und Audi TT.
"Technische Oberflächen" im Auto von morgen
Die Sinn-Ansprache der Automobilhersteller führt eindeutig über das Interieur. Viele Fragen gibt es zu beantworten. Steigert eine außergewöhnliche Optik den Gebrauchswert des Fahrzeugs, passt das Color Matching zum Farbton der anderen Bauteile, ist der Glanzgrad beispielsweise bei Chrom nicht zu kräftig? Dabei gilt zu bedenken: Auch matte Oberflächen können zur Vermeidung von Lichtreflexionen gewollt sein. Oder transparente Überzügen spielen für die Brillanz eine entscheidende Rolle, um den darunter liegenden Werkstoff - oft Holz oder Carbon -, ins richtige Licht zu setzen. Thomas Lampe: “Den drei klassischen Stilelementen Leder, Holz und Chromoptik sowie die neuerdings verstärkt eingesetzten ´technischen Oberflächen´ gilt künftig besondere Aufmerksamkeit.”
Wurzelholz des Nussbaumes gefragt
Seit den 70er Jahren versuchen die Interieurexperten mit Holzimitaten – meist Drucke oder Folien -, auch in der Großserie dem Kunden Exklusivität zu vermitteln. Während Rolls-Royce und Bentley ihren Kunden nahezu jede Holzart anbieten, gewinnt auch die Wärme, Geborgenheit und Langlebigkeit des Holzes in den kleinen Fahrzeugklassen immer mehr an kaufentscheidender Bedeutung. Des Autofahrers Favorit ist das Wurzelholz des Nussbaumes. Doch Exklusivität heißt auch Effizienz: Das Golf-Interieur - serienmäßig schwarzgebeiztes Myrte-Wurzelholz – benötigt inen Quadratmeter Holz, etwa 60% sind Verschnitt.
Kaltes Chrom ...
Chrom gilt als kalt, aber edel. Chromoptik gilt heute zwar als sozial wertfrei, aber bei zu üppiger Verwendung wirkt es aufdringlich. Hier meinen die Experten: weniger ist mehr. Gegenüber Leder und Holz scheint die Akzeptanz von Chromschichten größeren Schwankungen zu unterliegen.
... anspruchsvolles Aluminium
Neben den klassischen Werkstoffen Holz und den anspruchsvollen Chromoberflächen, die seit mehreren Jahrzehnten das Interieur veredeln, sind “technische Oberflächen" im kommen. Zum Beispiel: eloxiertes  oder bedrucktes Aluminium und Carbon-Gewebe. “Technisch" definieren die Ingenieure nicht nur das Produktionsverfahren, sondern auch das Empfinden, das diese Oberflächen wecken sollen. Eloxierte Aluminiumteile kennt man schon seit Jahrzehnten im Außenbereich als Zierleisten, Fensterrahmen oder auch Dachreling. Jetzt wandert es ins Interieur, beispielsweise bei der Schaltkulisse beim Audi TT.
Bedruckte Bauteile
Im Vergleich zum Chrom wirkt das transparent anodisierte Aluminium matter und weniger brillant. Die matt gebeizte, metallische Oberfläche besitzt eine hohe Ästhetik, die den Eindruck vermittelt: da ist nichts, was verborgen werden soll. Das Bauteil ist hochwertig verarbeitet und edel. Alternativ zur Wurzelholzausstattung bietet VW im Passat ein bedrucktes Oberflächendekor an Stelle der anodischen Oxidation an. Designfreiheit beim Dekor und bei der Farbgebung erlauben das harmonische Abstimmen auf das Interieur. Das aufgedruckte – unebene – Muster, die  angenehm spürbare Oberfläche und hohe Verschleiß- und Reibbeständigkeit vermitteln einen edlen Eindruck.
Vermeintliche Kleinigkeiten sind sehr wichtig
Mit Kunststoff verstärktes Kohlenstofffasergewebe ist als Carbon bekannt. Er wirkt nicht nur teuer, der Fertigungsprozess bei der Vorbehandlung des Rohstoffes ist im Vergleich zum Holz ist auch etwa 70 % teuerer. Ergebnis: statt Carbongewebe kommt oft ein billigeres Imitat zum Einsatz. Aber hier wie auch bei den anderen Werkstoffen bestätigt sich die Aussage, dass der Kunde das Automobil als ein ganzheitliches Produkterlebnis wahrnimmt. Authentizität spielt beim emotionalen Empfinden eine nicht unerhebliche Rolle. Stylist Thomas Lampe: “Und die Zweifel an der Qualität eines Produktes fangen nicht selten bei vermeintlichen Kleinigkeiten an.”
Lederersatz auf dem Vormarsch?
Leder gilt schon seit jeher als Symbol der Exklusivität. Die Patina nimmt sogar im Laufe der Zeit noch an Schönheit und Individualität zu – wenn sie richtig gepflegt wird. Vermehrt muss sich Leder aber auch technischen Entwicklungen angleichen: zum Beispiels sind die Front- und Seitenairbags in Bentley und Rolls-Royce mit Leder abgedeckt. Wichtig ist dann, dass einerseits die Optik nicht unnötig gestört, andererseits aber die Funktion der Bauteile gewährleistet wird. Alternativ zum Leder bietet Volkswagen beim Passat auch Sitzbezüge kombiniert aus Leder und Alcantara an. Alcantara sieht aus wie aufgerauhtes Leder, ist annähernd so haltbar und strapazierfähig. Thomas Lampe: “Ob diese Kunstfaser eine wirkliche Alternative zu Leder wird, entscheidet letztendlich der Kunde, denn wie gesagt: die emotionale Wahrnehmung erfolgt auf einer irrationalen Ebene”.